Lost in time

Tja, und plötzlich sind wir ein halbes Jahr weiter seit dem letzten ausführlichen Post…. Ein wirklicher Grund für die lange Stille gibt es eigentlich nicht. Die Zeit rast wie im Schnellzug vorbei:

[Nederlandse versie] Ende Jahr wäre unser Vertrag mit Interteam bereits zu Ende, aber wir haben uns entschieden noch bis zum Ende unserer Arbeitserlaubnis (Workpermit) zu bleiben. Das heisst, wir haben unseren Vertrag um 2 Monate verlängert. Dies unter anderem, weil Efi in den vergangenen Monaten sehr krank war und deshalb für Wochen sowohl zuhause bleiben musste, als auch gut 6 Wochen weit weg im Spital lag (zuerst in Kampala, Uganda und anschliessend in Nairobi, Kenia). Jetzt ist sie jedoch wieder Zuhause und es geht jeden Tag etwas besser, sie konnte sogar bereits wieder mit der Arbeit beginnen. Aber es blieb natürlich viel liegen und diese zusätzlichen zwei Monate geben ihr die Gelegenheit, die Arbeit hier noch vollständig abzuschliessen. Nach diesen hektischen Monaten ist der Alltag also wieder eingekehrt und die Tage fliegen dahin, „time flies“…

Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit um mal ausführlicher über die Zeit zu sprechen, denn sobald man auf Afrika angesprochen wird, geht es eigentlich rasch auch um das Thema „Zeit“.
Albert Einstein meinte mal „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.“ Nun ja, ganz so einfach ist es hier in Afrika nicht. Hier läuft alles in einem anderen Rhythmus und nach „african time“ und sogar “swahili time“ (siehe unten). Bei dem bekannten Sprichwort „Europäer haben Uhren, Afrikaner haben Zeit“ geht es vor allem darum, dass hier eine ziemlich flexible Auslegung und entspannter Umgang mit Pünktlichkeit herrscht. Das ist manchmal natürlich sehr frustrierend und nervig, aber es hat uns auch etwas Gelassenheit gelehrt: Manche Dinge brauchen Zeit, die müssen wachsen.

Für uns ist es manchmal tatsächlich nicht einfach, hier ein gutes Zeitgefühl zu behalten. Das hat aber nichts mit unserer (veränderten) Einstellung zu tun, sondern mit der Sonne: Das ganze Jahr ist es über 12 Stunden am Tag hell, der Sonnenaufgang verschiebt sich im Jahresverlauf nur um eine halbe Stunde und ohne wirkliche Jahreszeiten, ist es wirklich schwierig, ein gutes Zeitgefühl zu behalten. War das 3 oder 6 Monate her? Natürlich hat man die Regenzeit die nass und kälter ist, die Trockenzeit merkt man vor allem daran, dass das Gemüse und Früchte knapp werden und öfters kein Wasser da ist. Aber täglich scheint die Sonne von 7 bis 7 und während gut 360 Tage im Jahr laufen wir in kurzärmeligen T-Shirts und können den ganzen Tag draussen sein.

Allerlei:

  • Lineares vs zirkuläres Zeitkonzept: Zeit ist also ein dehnbarer Begriff in Afrika, was primär mit unterschiedlichen Zeitkonzepten zu tun hat. In den industriellen Ländern gilt ein lineares Zeitkonzept, während dessen in Ostafrikanischen Ländern ein zirkuläres Zeitkonzept vorherrscht.
  • Lineares Zeitkonzept: Bei uns in den westlichen Ländern gehen alle von einem monochromen linearen Zeitdenken aus. Die ganze Gesellschaft ist darauf aufgebaut und würde ohne dieses Konzept nicht funktionieren. Es ist eine klare Aufeinanderfolge von Vergangenheit, dem Jetzt und der Zukunft. Wir planen unsere Tage und arbeiten unsere To-Do’s Punkt für Punkt ab. Wir rechnen in Tagen, Stunden, Minuten und Sekunden und sind uns bewusst, dass viele Dinge dem Konzept der Periodizität und Kontinuität zu Grunde liegen: Ohne Flut, keine Ebbe. Ohne Tag, keine Nacht,…. Der lineare Zeitbegriff kennt einen Beginn und ein Ende und Pausen und unproduktive Momente werden auf ein Minimum reduziert. In diesem System sind die Menschen viel individualistischer als im …
  • Zirkulären Zeitkonzept: Dies wird mehr in kollektivorientierten und traditionelleren Gesellschaften angewendet. Im System der Grossfamilien, wie dies in Afrika noch oft gelebt wird, hat die „Gruppe“, die Gemeinschaft (und damit einen ganz anderen Zeitbegriff) einen hohen Status. Die Menschen leben im Moment, im Hier und Jetzt und versuchen so viel wie möglich gleichzeitig zu tun. Da dies meistens nicht funktioniert, sind sie dann auch nicht so pünktlich…. Pausen sind Teil des Prozesses und es wird kein grosser Unterschied gemacht zwischen Produktivität und Unproduktivität, wie dies bei uns im Westen geschieht. Eine zirkuläre Zeitauslegung bedeutet, dass das Leben von Menschen aus sich wiederholenden Ereignissen besteht. Der Zyklus der Natur von Tag und Nacht, Trocken- und Regensaison, der Jahreswechsel oder die Feiertage sind sehr wichtig. Diese Fixpunkte geben im täglichen Leben einen Rhythmus vor. Viele Menschen verbinden ihren Geburtstag mehr an die Jahreszeit als an das Datum. Jemand ist also am Ende der Regensaison geboren oder hat am Beginn der Trockenzeit geheiratet. Zeit orientiert sich hier vor allem an der Sonne, der Vormittag dauert also von Sonnenaufgang bis Mittag. Deshalb begreifen viele hier nicht, warum Du dich ärgerst, wenn jemand 10 Minuten oder eine halbe Stunde zu spät kommt.

 

  • Swahili Time: “african time” wird verwendet um diese “Pünktlichkeit” mit einem Augenzwicker zu benennen. “Swahili time” hingegen ist anderes Zeitrechnungskonzept, das in Ostafrika angewendet wird: Die Zählung der Zeit beginnt hier mit dem Tageslicht. Die Sonne geht täglich um 7 Uhr auf, was als erste Stunde gezählt wird. Die zweite Stunde des Tages ist dann bei uns also 8 Uhr. Auf Swahili kann sich deshalb jemand “um 3 Uhr” mit Dir verabreden, während er damit aber 9 Uhr meint. Du musst also bei jeder Zeitangabe gegenprüfen, welches Zeitsystem gemeint ist: Muzungu- oder Swahili Time? Man kann sich vorstellen, dass dies vor allem zu Beginn für einiges Verwirrung bei den Wazungus (Weisse) verursacht… 😉

 

  • Fashionaby late: Weil hier die Menschen im “Jetzt” leben, haben für sie vereinbarte Termine eine weniger grosse Bedeutung: Wenn etwas dazwischenkommt, kommt halt etwas dazwischen. Wenn Du also beispielsweise um 3 Uhr verabredet bist, aber um viertel vor drei kommt noch jemand spontan zu Besuch, sagt man dann nicht “sorry, ich habe einen Termin und muss gleich gehen”. Nein, man heisst den Besuch willkommen auch wenn das bedeutet, dass man den eigenen Termin nicht mehr halten kann (dabei braucht man sich auch nicht telefonisch abzumelden…).Wie aufgezeigt, versteht hier also keiner, wenn Du dich wegen einer Verspätung aufregst. Wir hatten letzthin ein ganz schönes Beispiel:Wir waren in der Kirche für eine Hochzeit. Es war als eine Doppelhochzeit angekündigt, es sollten also 2 Brautpaare gleichzeitig verheiratet werden. Die Messe begann dann (natürlich mit einer Viertelstunde Verspätung) allerdings nur mit einem anwesenden Brautpaar. Da der Pfarrer auch nichts darüber erwähnte, nahmen wir an, dass die anderen kurzfristig ihre Hochzeit verschoben haben. Geschlagene dreiviertel Stunden später spazierte dann das andere Hochzeitspaar doch noch in die Kirche herein. Die Messe ging einfach normal weiter, als wäre es die normalste Sache der Welt…